Motorradfahren gehört unbestritten zu den schönsten Hobbies, die man sich aussuchen kann. Manche fangen im Jugendalter damit an, manche erst später; für die einen ist es reines Freizeitvergnügen, für andere ein flinkes Fortbewegungsmittel auf dem Weg zur Arbeit über das ganze Jahr. Allen gemein ist, dass die Maschine sorgfältig ausgesucht werden möchte, will man später Überraschungen vermeiden.
So wurden etliche Stunden investiert, um das passende Motorrad für die gestellten Anforderungen zu finden. Handlich sollte es sein, nicht zuviel Leistung für einen Mopedeinsteiger, mit Griffheizung für die ganzjährige Saison und ohne Kette, die ihre Pflege mahnend einfordert und sich bitter rächt, so die Auffassung, wenn sie ihre Dosis Öl nicht pünktlich bekommt. Insgesamt eher zuverlässig als emotionserweckend sollte die Maschine also sein, denn Vorankommen mit dem künftig einzigen Fortbewegungsmittel war wichtiger als vor Emotionen sprudelnd am Straßenrand zu stehen.
Es kristallisierte sich sehr schnell heraus, dass unter 1000 Kubik nur ein Zahnriemen im Endantrieb die gangbare Alternative war. Ein Kardan war nirgends zu finden. Ein Glück, hatte BMW da etwas im Petto.
In Sachen Modellentscheidung kam die F800ST in die engere Auswahl. Sie war (und ist mit ihrem Nachfolger GT) eine perfekte Maschine für sorgenfreie Allwetterfahrten mit ABS und Griffheizung, der Rotax Motor ist unverwüstlich und der Zahnriemen ist langlebig und anspruchslos wie ein russischer UAZ.
Vor der Investition wollte diese Entscheidung gründlich untermauert werden. Erfahrungen Anderer sollten einen Teil dieser Basis bilden.
Das Internet bietet die größte Austauschplattform für rohe Erfahrungsberichte und Tipps zu praktisch jedem Thema. Natürlich sind hier Berichte von problematischen Begebenheiten und Herausforderungen jedweder Art häufiger anzutreffen als von freudigen Ereignissen. Das liegt in der Natur der Sache. Für positives Feedback findet sich die Motivation seltener.
Der Genuss der rohen Kost empfiehlt sich also stets mit einer kleinen Prise Salz.
Den positiven Merkmalen aus der Broschüre der F 800 ST standen jedoch Einzelfälle von blockierenden Hinterrädern bis BJ 2009, rubbelnden Bremsen und absterbenden Motoren bei höheren Temperaturen gegenüber. Unter extensivem Einsatz der Salzmühle (und zuweilen auch der rosa Brille) gestaltete sich der Abwägeprozess sehr zeitintensiv. Die gemein gelobte Robustheit einer BMW wollte in Einklang gebracht werden mit Meldungen von Achsspiel jenseits der Toleranzgrenze und gegen Null tendierenden Motordrehzahlen während der Schaltvorgänge. Der Ausweg war schließlich beschildert mit "BMW: ja, aber nur als Neumotorrad mit Gewährleistung und Anschlussgarantie".
Somit konnte sich dann doch ein Händler über den Verkauf einer Tageszulassung des jüngsten Baujahrs mit Restgarantie freuen, der Fahrer wiederum über eine vollausgestattete, flinke und sparsame Maschine. Das Wissen um den erst kürzlich zurückliegenden Abgang vom Bandende in Berlin beruhigte die Sorgen um potenzielle Qualitätsmängel.
Dies war vor drei Jahren.
Dreißigtausend Kilometer später ist aufgrund äußerlich wirkender Einflüsse die Zeit für eine Abschlussbilanz gekommen.
Der Besitz der F 800 ST hat alle Erwartungen in vollem Maße erfüllt. Der Motor schnurrte bis zuletzt wie ein Kätzchen und verbrauchte nur 4,5-5 Liter. Die rubbelnden Bremsen wurden nach ein paar tausend Kilometern anstandslos auf Garantie getauscht, ebenso der erste Zahnriemen nach 10000 km, der recht bald Ermüdungserscheinungen gezeigt hat. Bei etwa 20000km auf der Uhr fing das Absterben bei hohen Außentemperaturen und gezogener Kupplung an, was durch Wiederanlassen stets fortgeführt werden konnte. Der zweite, bei ca. 23000 km gerissene Zahnriemen sorgte dann für eine Fülle von Emotionen am Straßenrand und konnte leider auch nicht auf Kulanz getauscht werden. So stellte er nebst Arbeitszeit eine eigene Position auf der Rechnung. Die Hinterachse war bekanntermaßen ab 2009 ausgereift und funktionierte auch hier wie erwartet einwandfrei.
In Retrospektive deckten sich die vor der Anschaffung bekannten Herausforderungen mit den Erfahrungen aus den zurückliegenden drei Jahren erstaunlich gut. Der Kauf der BMW beim Händler hat sich als eine exzellente Wahl herausgestellt. Was von der Qualitätssicherung scheinbar übersehen worden war, wurde durch die Werkstatt mit hervorragendem Service, anstandsloser Garantieabwicklung und Kulanz ausgeglichen.
Jetzt stellt sich bei der Wiederbeschaffung die Frage, ob es beim blau-weißen Propeller bleiben wird. Der Reihenvierer mit diesem Emblem fährt sich erstaunlich schön und erfüllt wieder alle gestellten Anforderungen. Jedoch gibt es auch wieder Berichte, die mit einer Prise Salz in Einklang gebracht werden wollen. Ohne die rosarote Brille gestaltet sich die Entscheidungsfindung diesmal aber leichter.
Wird es ein Fahrzeug mit den gewünschten Extras ohne Aufpreis, mit drei Jahren Mobilitätsgarantie, mit hervorragendem Ruf bei der Qualität und mit berichteten Problemen marginalen Ausmaßes?
Oder wird es wieder eine BMW, die einen hervorragenden Service und tadellose Garantieabwicklung genießen kann?
Wie sagte John Malkovich in "Gefährliche Liebschaften", als Uma Thurman ihn fragte, ob er endlich gehen werde?
"Nun, ich denke: eigentlich nicht".
Ich danke allen hier im Forum für die zahlreichen, wertvollen Informationen. Sie haben sich in vielen Belangen als sehr wertvoll herausgestellt.
Grüße
Dimi