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Kurvenphysik

Verfasst:
05.07.2009, 16:41
von borromeus
Hallo und schönen Sonntag!
Mit großem Interesse habe ich das Buch "Die obere Hälfte des Motorrades" gelesen.
Nun ist eine Frage offen geblieben:
will ich das Motorrad nach links legen drückt man am linken Linkerende- das Mopedfällt nach links (egal ob man über den "paradoxen Lenkimpuls" Bescheid weiss oder nicht

) = "Legen".
fahre ich langsam(st) und drücke ich am linken Lenkerende fährt das Moped nach rechts (wie ein Auto) halt ="Lenken".
Es muss also irgendwo eine Geschwindigkeit geben wo das Moped nicht mehr in die Lenkrichtung fährt sondern drüberkippt.
Frage nun: wieso macht man das beim Fahren immer richtig- kein Mensch macht sich Gedanken über er "lenkt" oder "legt"?
lG
Karl

Verfasst:
05.07.2009, 16:47
von Sprinter
weil man es gelernt hat. beispielsweise legt sich ein kind mit dem fahrrad ein paar mal auf die nase und dann nicht mehr. das gleiche mit dem motorrad. andernfalls könnten wir nicht einmal laufen oder gehen. das sind schließlich ähnlich komplexe bewegungen.


Verfasst:
05.07.2009, 17:55
von RK
das ist von motorrad zu motorrad zu unterschiedlich.. das kommt auf den schwepunkt, lenkgeometrie und und und und draufan.. aber wie von Sprinter bereits gesagt... das geschieht automatisch und da kann einem eigentlich egal sein ab wo es sich wie legt..
da hilft wohl nur probieren


Verfasst:
05.07.2009, 18:12
von F800STKalli
So, nu wird's kompliziert:
1. Richtig, wenn ich langsam fahre und das linke Lenkerende nach vorn drücke, fährt das Motorrad rechts rum. Das funzt so lange wie das Motorrad im instabilen Bereich fährt. Instabiler Bereich bedeutet, die Kreiselkräfte der rotierenden Räder stabilisieren das Motorrad. Kennt jeder, langsam kann ich mit dem Fahrrad nicht freihändig fahren, erst wenn ich schneller fahre oder wenn man eine Münze auf dem Tisch andreht, sie fällt um, wenn sie sich nur noch ganz langsam dreht. Der Übergang vom instabilen zum stabilen Bereich fängt so bei ca. 20 km/h an. evt auch ein bisschen früher.
2. Richtig, wenn ich schnell fahre und das linke Lenkerende nach vorn drücke, fährt das Motorrad links rum. Fahrradfahrer machen das beim Abbiegen sehr deutlich mit ganz kleinen "Ausholen" nach rechts. Es funzt folgendermaßen:
Räder und Schwerpunkt sind von oben betrachtet auf einer Linie. Wenn ich nun das linke Lenkerende nach vorn drücke, fährt das Vorderrad ganz leicht und unmerklich nach RECHTS. Der Schwerpunkt allerdings folgt dieser Abweichung nicht und befindet nun plötzlich links von dem Motorrad. Was passiert? Das Motorrad "fällt" nach links um und schon ist damit die Schräglage für die Linkskurve eingeleitet. Das Gleichgewicht wird durch die Fliehkraft wieder hergestellt.
Ein Trick, den man bewusst steuern kann, wenn man zu schnell in eine Kurve fährt bzw. diese sich zuzieht. Oder ein ultraschnelles Ausweichmanöver: Eine Person tritt von rechts auf die Fahrbahn, schlagartig reiße ich rechts am Lenker nach hinten, das Motorrad fällt tatsächlich nach links um, man muss nur den Mumm haben dieser Ausweichbewegung zu folgen. Manchmal biegen wir auch innerorts mit 50 km/h so ab, man schlägt dabei fast einen 90°-Haken.
3. Warum ein Mensch das meistens richtig macht? Hier schließe ich mich Sprinter an, ein Lerneffekt.
Hoffe, ich konnte helfen.
Vollen Tank und leere Straßen
Kalli

Verfasst:
05.07.2009, 18:42
von Spion
F800STKalli hat geschrieben:So, nu wird's kompliziert:
1. Richtig, wenn ich langsam fahre und das linke Lenkerende nach vorn drücke, fährt das Motorrad rechts rum.
... aber nur deshalb, weil es bei diesen Geschwindigkeiten möglich ist, den Schwerpunkt durch Fahrerbewegungen effektiv in die gewünschte Richtung zu verlagern. Sonst würde das Mopped nach links umfallen, denn der Schwerpunkt behält seine Geradeausbewegung aufgrund der Massenträgheit bei. Auf dem Fahrrad ist das genau so, nur ist dort die Masse sehr viel geringer.

Verfasst:
05.07.2009, 22:19
von F800STKalli
Danke für die logische Klärung und des Beseitigens eines Irrtums.
Vollen Tank und leere Straßen
Kalli

Verfasst:
06.07.2009, 18:37
von kolkrabe
Hallo Karl,
das von dir erwähnte Buch hat dir das Einleiten einer Kurve offenbar nicht verständlich erklärt und du machst dir "Gedanken darüber". Vielleicht ist dir folgendes dienlich.
Nimm gedanklich das Vorderrad eines Fahrrades an beiden Achsenden in die Hände, versetze es in Rotation und dann drehe das Ganze um eine vertikale Achse. Du wirst das Kippmoment in den Händen spüren, das durch diese Aktion entsteht.
Physikalisch: So wie Energie nicht verloren gehen kann, kann auch der Drehimpuls des rotierenden Rades nicht verloren gehen, man kann ihn nur in - in obigem Beispiel zwei - Teile zerlegen. Den einen Teil behält das rotierende Rad, der andere Teil wirkt kippend auf die Achse.
Beim Töff sind die Massen viel grösser, die Achse in der Gabel verschraubt, das Kippen wirkt auf das ganze Töff >> das Töff wird durch ´Gegenlenken´ in eine Schräglage gekippt. Gleichgültig, ob vor dem Gegenlenken schon eine Schräglage da war oder nicht.
Physikalisch bedingt:
Bei gleicher Geschwindigkeit gibt rasches Gegenlenken ein stärkeres Kippen als langsames Gegenlenken.
Je grösser die Lenkbewegung, desto grösser das Kippen.
Ohne Fahrgeschwindigkeit kein Drehimpuls >> das Gegenlenken ist wirkungslos, kein Kippen.
Die Frage "Es muss also irgendwo eine Geschwindigkeit geben wo das Moped nicht mehr in die Lenkrichtung fährt sondern drüberkippt" ist in der Form m.E. nicht zu beantwortet.
Töff steht ruhig und lotrecht, Lenker wird eingeschlagen, der Radaufstandspunkt des Vorderrades wandert aus der Mittelebene des Töffs zur ´Kurveninnenseite,´ der Schwerpunkt des Töffs liegt dann ´kurvenaussenseitig´ neben der Verbindungslinie der Radaufstandspunkte >> das Töff "kippt drüber".
"Frage nun: wieso macht man das beim Fahren immer richtig- kein Mensch macht sich Gedanken über er "lenkt" oder "legt"? "
Wir haben Sensoren, die - wenn es eilt reflexartig - den Muskeln auf kürzestem Wege Befehle geben. Ohne unser Denken. Wenn du dir freistehend eine Hose anziehst, fällst du auch nicht um. Hoffentlich.
Weil mir denkende Menschen sympatisch sind und weil mich Bücher mit Wortkreationen wie "paradoxer Lenkimpuls" statt des eingeführten und anschaulichen ´Erhaltung des Drehimpulses´ vorsichtig machen, noch ein unerbetener Rat als Zugabe:
Lasse dir keine fertigen Verhaltensweisen für Gefahrensituationen einreden. Es gibt keine zwei identischen Situationen und die Gefahr, dann das schulmässig Richtige aber in einer etwas abweichenden Situation zu tun, ist sehr gross.
Für empfehlenswerter halte ich es, die Möglichkeiten und Reaktionen des Töff im Detail durch zu denken und im Geist zu Aktionen mit Vor- und Nachteilen zusammen zu setzen.
Beim Fahren spielerisch ab und zu solange die Teile ausprobieren, bis jeder Einzelteil in "Fleisch und Blut" übergegangen ist. So wie du als Kind ja auch das Freistehend-Hoseanziehen dem Körper hast beibringen müssen.
Erkennen die Augen als Sensoren eine Gefahr, stellt der Körper aus den Einzelteilen reflexartig einen Ablauf zusammen und gibt den Muskeln die Befehle. Zum Denken ist da nie Zeit.
FG, Herbert.
P.s. Sollte ich deine Fragen missverstanden und Eulen nach Athen getragen haben - bitte keine Häme.

Verfasst:
06.07.2009, 20:07
von kolkrabe
Hallo Karl,
Nachtrag.
Ab relativ kleinen Geschwindigkeiten ist Gegenlenken die schnellste Möglichkeit, eine Kurve einzuleiten.
Bei kleinen Geschwindigkeiten kann ´Drücken´ gleich schnell wie Gegenlenken sein.
Bei langsamer Fahrt hat das Vorderrad wenig Drehimpuls und Gegenlenken ist fast wirkungslos.
LG, Herbert.

Verfasst:
08.07.2009, 21:09
von F800STKalli
Übrigens, wenn meine Motorradfahrschüler in der Stop-And-Go-Übung (nur einen Fuß beim Anhalten absetzen) das Motorrad auf die richtige Seite kippen müssen, gebe ich ihnen den Tipp mit, kurz vor dem Stop (5-10 km/h)den Lenker auf der Seite nach vorn zu drücken, auf die das Motorrad kippen soll.
Funzt also auch bei Langsamfahrt. Inwieweit die stabilisierenden Kreiselkräfte da noch eine Rolle spielen, weiß ich nicht - haben tut es aber eigentlich keine mehr.
Vollen Tank und leere Straßen
Kalli

Verfasst:
08.07.2009, 21:53
von kolkrabe
Hallo Kalli,
Du hast ganz recht. Beim Motorradfahren kommen viele Einflüsse zusammen. Ich habe die Geschichte mit dem Drehimpuls nur erzählt, weil mich die merkwürdige Bezeichnung irritiert hat und ich einen arglosen jungen Mann sich den Kopf ob so toller Wissenschaft habe zerbrechen sehen. Mit diesem Bild vor Augen habe ich dann auch noch meine Lebensweisheit verhökert, die Du als Fahrlehrer mir zum Glück nicht übel nimmst.
Herzlichen Gruss, Herbert.