Nach rund 50'000 Kilometern mit meiner R1200ST war es Zeit für einen Wechsel. Zwei Motorräder kamen in Frage: die R1200RS und die F800GT, denn nach so vielen Jahren mit wartungsarmem Kardan wollte ich keine Kette als Antrieb. Ich bin beide Maschinen probegefahren und habe mich dann vor allem wegen des Handlings für die kleine GT entschieden. Sicher, die Leistung der RS ist beeindruckend, und die vielen elektronischen Helferlein auch. Aber die Maschine fühlte sich genauso schwer an wie meine ST, und ich wollte eine leichtere und handlichere Maschine. Jetzt habe ich die erste kleine Tour mit 1500 Kilometern hinter mir und kann euch kurz erzählen, ob ich den Wechsel bereue.
- Leistung: Klar, der ST-Boxer hatte mehr Bumms. Aber der 800er-Motor ist dafür erstaunlicherweise elastischer. In grösseren Gängen schüttelte sich der Boxer unterhalb 2500 Touren unwillig, während der 800er ab 2000 Touren ruckelfrei loszieht. Und der nutzbare Drehzahlbereich ist erst noch grösser.
- Laufruhe: Ist beim 800er gut, mit Ausnahme des Bereiches ab 5000 Touren, wo er schon ziemlich vibriert - stärker (oder zumindest störender) als der Boxer. Aber weil der Motor superelastisch und ziemlich lang übersetzt ist, bewegt man sich nur beim starken Beschleunigen, auf der Autobahn oder mit dem "Messer zwischen den Zähnen" längere Zeit in diesem Bereich. Ist also nicht wirklich ein Problem.
- Schaltung: Präzise, aber irgendwie etwas knöcherner als bei der alten ST.
- Bremsen: Sehr gut, auch wenn das Vorderrad natürlich deutlich stärker eintaucht als bei der Telelever-ST und in Kurven auf der Bremse etwas nervöser ist. Hängt aber vermutlich auch mit dem viel agileren Handling der 800GT zusammen. Man gewöhnt sich jedenfalls schnell um.
- Handling: Das Paradekapitel der 800GT. Fährt sich im Vergleich zur ST fast wie ein Fahrrad und ist selbst mit Koffern noch um Welten agiler als die ST ohne. So entspannt und locker war ich mit der ST nicht unterwegs, die Maschine brauchte immer sehr kräftige Lenkimpulse, fuhr dann aber auch wie auf Schienen um die Kurve. Die 800GT lässt sich viel leichter korrigieren. Und natürlich auch rangieren. Die 20 oder 30 Kilo Gewichtsunterschied sind deutlich stärker spürbar, als ich mir das gedacht hätte.
-Tourentauglichkeit: Bin mit der GT am ersten Tag gleich mal 350 Kilometer durch die Alpen gefahren, und das heisst rund 7 Stunden im (höheren) Komfortsattel. War insgesamt sogar etwas bequemer unterwegs als mit der ST, was wohl auch am etwas weniger spitzen Knieweinkel liegt. Federung auf ähnlichem Niveau, auch ohne Telelever. Automatische Dämpfungsverstellung in 3 Stufen ist eine prima Sache und funktioniert sehr gut.
- Gewöhnungsbedürftig: Der "normale" Blinker - nach zehn Jahren Boxer mit separaten Blinkerschaltern kein Wunder. Habe deshalb beim Überholen ab und zu gehupt statt geblinkt... Ebenfalls gewöhnungsbedürftig ist das schwächere Bremsmoment des Motors beim Runterschalten: Hier merkt man natürlich, dass zwei 600er-Kolben stärker abbremsen als zwei 400er, wenn man das Gas wegnimmt. Aber daran werde ich mich bestimmt schnell gewöhnen. Wirklich ein Rückschritt ist nur das Lenkschloss, das bei der 800GT nur in einer Lenkposition einrastet und nicht in zweien wie bei der ST.
Alles in allem: Es muss nicht immer grösser, stärker, schneller (und teurer...) sein! Die 800GT ist ein tolles Tourenmotorrad, und wer damit allein unterwegs ist, wird sicher keinen Leistungsmangel verspüren. Sie fährt sich supereinfach und bequem, der Motor hat zwar nicht einen Super-Boost, aber dafür Gummiband-Qualitäten, sie ist sehr sparsam (Durchschnittsverbrauch über die ersten tausend Kilometer: 4,3 Liter - bei der ST war es etwa ein halber Liter mehr). Ich bereue mein "Downsizing" also überhaupt nicht. Manchmal ist weniger mehr :-)