Hallo,
Träume sind eben zum Träumen da und wenn sie reibungslos in Erfüllung gehen würden, so würden sie auch viel ihrer Magie verlieren. So auch mein lang gehegter Wunsch, mit meiner F900R eine Reise von Hannover in Richtung Alpen zu machen. Begleitet von vielen Zweifeln, auch wenn ich meine F mag und sie immer wieder im Vergleich der Vertreter der 900er Klasse positiv hervorhebe, so muss auch ich zugeben, dass zumindest die von mir gefahrene R-Variante nicht viel von einem klassischen Reisemotorrad hat. Mit einem hohen Lenker und einem Miniwindschild ausgestattet, ist sie immer noch ein Naked Bike und genauso präsentierte sie sich, als ich am Tag der Abreise mein Gepäck am Soziussitz verzurrte – eine Nackte mit einem riesigen Sack, der eine Sozia imitierte und mich zunächst auf der ersten Etappe von Hannover nach Nersingen bei Neu-Ulm, wo ich mein Zimmer gebucht hatte, begleitet hat. Die Destination sollte ein Kompromiss sein und die Anreise verkürzen, da die Alpen das Objekt meiner Begierde waren, immer noch über 100 Kilometer von meiner Schlafstätte entfernt waren. Je näher der Abreisetermin rückte, umso schlechter wurde das Wetter. Die Temperaturen gingen in den Keller und Petrus schien beschlossen zu haben, das gesamte Wasser, das er im Himmel hatte, in einem komprimierten Zeitraum in Richtung Erde zu schicken. Grund genug für meinen Reisebegleiter, an meine Vernunft zu appellieren. Seine Argumentation ging nicht spurlos an mir vorüber und so habe ich am Vorabend doch noch große Zweifel bekommen. Trotzdem brach ich am Donnerstag um 6 Uhr gen Süden auf und freute mich auf das kommende Abenteuer. Die ersten 180 Kilometer fuhr ich in einer komfortablen Wolkenlücke bei Höchsttemperaturen um die 13° C. Bei Kassel wurde ich von den ersten Regengüssen erwischt, was ich relativ sportlich nahm. Meine Antwort auf die Wetterkapriolen hieß Regenkombi und Gummihandschuhe, die ich leider nur in der wunderschönen Farbe Türkis auftreiben konnte. Mein Reisebegleiter meinte, ich würde dringend eine Farbberatung benötigen. Ich sah die Sache von der pragmatischen Seite. Die türkisfarbenen Gummihandschuhe gehörten zu meiner Arbeitsausrüstung und haben bestens ihren Zweck erfüllt.
Im strömenden Regen meisterte ich die Pflichtautobahnetappen mit ihren Staus und endlosen Baustellen, deren Asphaltunebenheiten akrobatische Fähigkeiten von jedem Zweiradfahrer verlangten. Als Beweis dafür, dass ich nicht der einzige bin, der verrückt genug ist, bei solchem Wetter mit dem Motorrad zu reisen, möchte ich hinzufügen, dass ich bis Nersingen, das heißt auf fast 540 Kilometern, noch fünf weiteren Zweiradfahrern begegnete.
Am Donnerstagabend fand ein Planungstreff statt. Die Wetter-Apps prophezeiten für die kommenden 24 Stunden eine 100-prozentige Wahrscheinlichkeit nass zu werden. Während wir versuchten, die Pläne für den nächsten Tag zu schmieden, ist Noah auf dem Parkplatz neben uns mit seiner Arche fast schon fertig geworden. Es fehlten ihm nur noch die Tiere, zwei alte Esel (mein Begleiter und ich) waren schon da.
Am Freitag sollte unser grenzenloser Optimismus auf Probe gestellt werden. Der Treffpunkt bei meinem Kumpel und Reisebegleiter lag ca. 74 Kilometer entfernt, die ich noch trocken fahren durfte. Kurz nach meiner Abfahrt in Nersingen öffneten sich wieder die Himmelsschleusen und es regnete ohne Unterlass. Unser Plan beim Start der großen Alpentour war relativ simpel – wir wollten in Richtung Süden, den Wolkenlücken folgend. So ergab sich ein verrückter Zickzackkurs, der zwar viel Zeit und Kilometer verschlang, aber gleichzeitig eine trockene Reise garantierte. Das Ziel der ersten Etappe war Sonthofen, von wo aus wir in Richtung Oberjoch starteten. Was uns hier erwartete, war die Entlohnung für die Reisestrapazen des Vortages. Eine ca. 6 Kilometer lange Aneinanderreihung von nicht enden wollenden Kurven, die auch noch aufgrund der an diesem Tag bereits erwähnten eher schlechten Wetteraussichten nur auf uns warteten. Die Bridgestone-Reifen S21 zeigten, dass ihre Haftungsgrenze für ambitionierte Freizeitfahrer unerreichbar ist. Bei Schräglagen zwischen 40° und 45° fuhren wir die Strecke rauf und runter. Das Dauerlächeln hinter dem Visier ermüdete dabei stark die Gesichtsmuskulatur. Diese Strecke ist ein rezeptfreies Antidepressivum und sollte unserer Ansicht nach in der Nähe jeder größeren Stadt aufgebaut werden.
Es war immer noch trocken und nach einigen Durchgängen stellten wir uns die Frage, wie es denn weiter gehen könnte. Die Antwort wurde schnell gefunden und hieß Hahntenjoch. Ein weiteres Bikerparadies, welches etwa 60 Kilometer entfernt bei den österreichischen Nachbarn liegt. Die Transferfahrt dauerte etwa 40 Minuten und führte uns über weitere Wunder des Straßenbaus. Wir fuhren über den Gaichtpass und folgten anschließend den malerischen Straßen des Lechtals in einer wunderschönen Bergkulisse. Bereits die Transferfahrt kann sicherlich mit dem Prädikat sehr schön bezeichnet werden, aber was uns am Hahntenjoch erwartete, war einfach himmlisch. Auch hier hatten wir die Straße fast nur exklusiv für uns. Wunderschöne Kurven, die alle Ausprägungen hatten, von schnellen sanften bis hin zu gut markierten Kehren. Eine Landschaft, die es einem „Flachlandtiroler“ sehr schwer machte, mit dem Blick auf der Straße zu bleiben. Es war wunderschön und ich hätte am liebsten den ganzen Tag dort verbracht, aber die Nervensäge von meinem Kollegen hat immer wieder mit dem Finger in Richtung der Regenwolken gezeigt und damit auch den nächsten Punkt der Alpentour, die Rückfahrt, angedeutet.
Um unser Glück nicht zu überstrapazieren, nahmen wir nach dem Tanken an einer der günstigen österreichischen Tankstellen, die schnellste Autobahnverbindung in Richtung Heimat.
Wir kamen tatsächlich trocken an und konnten ca. 10 Minuten nach der Ankunft einen richtigen Wolkenbruch erleben.
@Petrus
Vielen Dank für diese wunderschöne Wolkenlücke, mit der du die zwei Optimisten so toll belohnt hast. Es waren die schönsten 480 km, die ich mit meiner F900R gefahren bin.
Ich wollte mich damit nicht nur für die Hilfe an diesem Beitrag, aber auch für diese schöne Ausfahrten ins Allgäu, Tirol und Schwäbische Alb bei meinem Kollege und verdammt guten Motorradfahrer und Kurvenmeister Armin sehr herzlich bedanken. Und hoffe dass, ich es noch noch einmal erleben kann. Vielen Dank dafür und bleibt immer oben und das gilt natürlich für Euch alle.
Gruß Chris